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Kurzgeschichten

Philipp Porter
Kurzgeschichten

In vino veritas

Die ersten dicken Regentropfen klatschen auf meinen Kopf. Ich sehe in die dunklen, fast schwarzen Wolken hinein. Es wird wohl nicht viel Zeit vergehen, bis es schütten wird.
Mit beiden Händen fahre ich mir über meine nasse Glatze und ärgere mich, dass ich meinen Hut im Auto gelassen habe. Doch es ist wohl das geringste Problem, das ich nun habe. Ich sehe mich nochmals um. Strenge meine Augen an, um die anbrechende Dunkelheit zu durchdringen. Doch es ist niemand da, bis auf ihn.
Langsam gehe ich in die Arena hinein. Ich bin mir absolut sicher, dass er es ist. Es wäre ansonsten wohl ein dummer Zufall.

Weshalb hatte er angerufen? Am Telefon wollte er es mir nicht sagen. Er tat geheimnisvoll, fast schon dramatisch. Da ich an diesem Wochenende nichts vorhatte, willigte ich ein, zu kommen. War es ein Fehler?
Eigentlich hatte ich keine Lust in diese Angelegenheit, was immer es auch war, mit hineingezogen zu werden. Doch es war wohl schon zu spät. Sie würden ohne große Mühe feststellen, dass ich einer der Letzten gewesen war, der mit ihm telefoniert hatte.

Als ich nur noch wenige Meter entfernt bin, gehe ich in die Knie und sehe mich um. Hunderte von Fußspuren sind zu erkennen. Doch keine Tatwaffe, kein Hinweis, kein Anhaltspunkt. Langsam umrunde ich meinen alten Freund, der mit hölzernem, starrem Blick in die schwarzen Wolken starrt.

"Wer hat dir das nur angetan? Wäre ich schneller gefahren, würdest du dann noch leben?", sage ich leise vor mich hin. Zwei Fragen, auf die es im Moment wohl keine Antworten gibt.
Als ich an seinem Kopf ankomme, sehe ich die tiefe, klaffende Wunde, aus der klebriges Blut sickert.
"Stumpfer Gegenstand, rund, schwer. Eine Tatwaffe wird wohl nicht so leicht zu bestimmen sein", geht es mir durch den Kopf.
Ich schaue mich nochmals um. Nichts! Derjenige, der zuschlug, hat keine verwertbaren Spuren hinterlassen.
Die Tropfen werden dicker, fallen dichter und ich ziehe mein Telefon aus der Handytasche heraus.
...

Das Anagramm

"Was für ein Mistwetter", fluchte Kommissar Hofer leise vor sich hin, während er sich seinen Weg zwischen morschen Brettern, herumliegenden Kübeln und Schafskacke suchte, um zum Tatort zu gelangen. Er hasste Außeneinsätze an solchen Tagen. Weshalb wurden Leichen immer bei schlechtem Wetter gefunden? Er hatte, soweit er sich zurückerinnern konnte, noch nie einen Leichenfund bei Sonnenschein gehabt. Aber über diese Tatsache zu sinnieren war wohl vergebens.
"Und, was haben wir?" Die Frage warf Hofer in die Runde der Männer, die rings um einen Mann standen, der rücklings, wie vom Blitz getroffen, mit weit ausgestreckten Armen und gespreizten Beinen im nassen Gras lag. Sein Gesicht war blutverschmiert und offensichtlich war er tot.
"Ich würde sagen, so gegen Mitternacht. Genauer nach der Obduktion, wie immer."
Hofer schaute zu Dr. Greuslich hinab, der gerade sein spitzes Thermometer aus dem Toten zog, mit dem er die Lebertemperatur gemessen hatte. Mit einem Papiertaschentuch wischte er die dünne Sonde ab und packte sie in seinen Aluminiumkoffer zurück, den er ständig mit sich herumschleppte.
"Todesursache? Tatwaffe? Verwertbare Spuren? Täter?" Hofer sah dabei fragend in die Runde.
"Vermutliche Tatwaffe ist wohl ein stumpfer Gegenstand mit ausgeprägter Struktur. Ein Brett, ein Balken, ein Stein, wir wissen es noch nicht. Wir haben nur das hier", dabei hielt ihm der junge Kollege Schmitt, der seit einem halben Jahr auf der Station arbeitete und Hofer zur Seite gestellt worden war, eine Sprühdose mit roter Farbe und eine Impfpistole eines Veterinärs entgegen.

Hofer nahm beides an sich und schaute sich die Funde, die in Plastiktüten steckten, an. Was ist das?"
...

Mord mit Profil

Die schmalen Lederriemen an den Handgelenken schnitten ihm qualvoll ins Fleisch. Die an den Füßen spürte er kaum. Doch sie fixierten ihn ebenso, Punktgenau. Sie ließen keinen Raum für befreiende Bewegungen. Dann flammten Scheinwerfer auf. Er kannte den markanten Schein, sehr gut sogar. Auch das sonore, tiefe Brummen des Motors, das sich kurz darauf zu einem aggressiven Brüllen emporhob. Dann schoss der Wagen plötzlich vorwärts und überrollte ihn der Länge nach.

Karl Busch stand am Kopf der Leiche und schaute sich die blutrote Reifenspur, die von hier wegführte, mit offen stehendem Mund an. Er hatte schon viel gesehen, so etwas aber noch nicht.
Der Kollege der SpuSi stellte sich neben Busch. "Moin." Busch schaute ihn mit einem Seitenblick wortkarg an. "Hinrichtung. So in der Art vierteilen. Nur mit einigen PS mehr und dass der Rest mehr oder weniger noch an einem Stück ist."
"Also Mord", sagte Busch trocken und der Kollege nickte.
"Ergebnisse aus dem Labor morgen. Wird aber nicht viel sein. Die Holzpflöcke und die Lederriemen kann man überall kaufen und außer dem Profilabdruck, den wir fanden, gibt es keine verwertbaren Spuren."
"Wisst ihr, wer er ist?"
"Nein."
"Macht einen Datenbankabgleich. Vielleicht haben wir ja einen Treffer", sagte Busch und sah sich die noch zu erkennende Gesichtshälfte des Opfers an. "Wie lange ist er schon tot?", fragte er und suchte währenddessen in seinen Taschen nach seinem Handy.
"Seit drei Minuten nach zwei heute Nacht. Er hatte eine Taschenuhr und die blieb genau da stehen."
Busch drehte sich ab. Der Rufton seines Handys drang an sein Ohr. Noch während er sprach, wurde der Leichnam eingesargt und wenig später stand Busch alleine auf dem Feldweg. Außer der Blutspur und den flatternden rot-weißen Absperrbändern gab es keinen Hinweis mehr auf die grauenvolle Tat.

...

  (C) by Philipp Porter, Lützelbach